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Attila Terbócs; WIKIMEDIA

Publikationen

János Sallai: Abdruck einer versunkenen Epoche, Untertitel: Die Geschichte des Eisernen Vorhangs. Herausgegeben von der Hanns-Seidel-Stiftung 2012.

Der Verfasser, Dr. habil. János Sallai, Oberst der Grenzpolizei a. D., ist Dozent an der Nationalen Universität für den Öffentlichen Dienst. Das Studium und die berufliche Laufbahn, die bisherige wissenschaftliche Arbeit und die zahlreichen Publikationen prädestinierten ihn geradezu für das Verfassen des vorliegenden Buchs.

Der Autor setzte sich eine Karriere als Berufsoffizier der Grenzwache zum Ziel. 1982 erwarb er an der Militärhochschule Kossuth Lajos ein Diplom als Offizier der Grenzwache, 1992 schloss er ein Studium an der Militärakademie Zrínyi Miklós ab. Bis 2006 – bis zum Ausscheiden aus dem aktiven Dienst – war er als Berufsoffizier in unterschiedlichen Funktionen tätig, u. a. lehrte er 11 Jahre lang an der Fakultät Grenzschutz der Militärhochschule. So ist es nicht verwunderlich, dass er für die Geschichte der Staatsgrenzen ein besonderes Interesse zeigte und über das Thema etliche Artikel veröffentlichte. Er promovierte 1994 und erlangte den akademischen Doktorgrad dr. univ. Sallai erreichte den wissenschaftlichen Doktorgrad PhD 2002 an der Universität Debrecen, sechs Jahre später habilitierte er hier.

Von den zahlreichen Publikationen sollen an dieser Stelle nur einige zum Thema der Staatsgrenze erwähnt werden:

  • Die elektrische Signalanlage. In: Főiskolai Közlemények (KLKF),Szentendre 1996
  • Geschichte der österreichisch-ungarischen Grenze. In: Soproni Szemle, Sopron 1996/4
  • Nachbarn seit einem Jahrtausend (Ein Überblick über die Geschichte der österreichisch-ungarischen Grenze). In: Bécsi Napló, 2001
  • Lösung der Probleme nach Festsetzung der österreichisch-ungarischen Grenze. In: Térés Társadalom 2003/4,Jg. XVII. S. 157-171.
  • Die Geschichte des ungarischen Eisernen Vorhangs. In: Magyar Rendészet, Jg. IX. Nr. 1-2,S. 120-128.

Die neueste Publikation des Autors ist sehr zu empfehlen, und nicht nur denjenigen, die Zeugen oder Betroffene der beschriebenen Ereignisse waren. Auch die ehemaligen Grenzsoldaten finden bis dato unbekannte Fakten und Ereignisse, die in Kisten des Archivs darauf gewartet haben, von jemandem entdeckt und verarbeitet zu werden. Die jüngere Generation wiederum erhält mit diesem Buch das erste Mal ein Werk, das die vergangene Ära des Grenzschutzes umfangreich schildert.

Der verehrte Leser hält nicht einfach die Geschichte des so genannten Ungarischen Eisernen Vorhangs in der Hand. Kaum hat man mit dem Lesen begonnen, wird einem bewusst, dass es um viel mehr geht – und genau diese Tatsache macht das Buch so wertvoll. Die Ereignisse werden in 4-5 parallel verlaufenden Erzählsträngen dargestellt, die sich ergänzen und so die Lage an der österreichisch-ungarischen Staatsgrenze im Laufe von fünf Jahrzehnten vor Augen führen, wobei ab und zu auch die anderen Grenzen Ungarns zur Sprache kommen. Über das rein Fachliche hinaus geht der Autor auch auf die jeweils aktuelle politische Lage, auf Erwägungen und Beschlüsse der Partei oder der Regierung zum Thema Grenzschutz ein. Bei diesen spielten die fachlichen Beweggründe der Grenzschützer eine eher untergeordnete Rolle, denn das Organ zur Bewachung der Grenzen wurde mehrmals neu aufgestellt und umstrukturiert, und es diente hauptsächlich als Durchführungsorgan. Ein anderer Erzählstrang handelt von der Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze, ihr Leben wurde von jeder neuen Maßnahme beeinflusst, oft sogar nachteilig. Der Verfasser gewährt dem Leser auch darüber einen tiefen Einblick: Über die Einschränkung der Freizügigkeit der Anwohner in der Nähe der Grenze, über die Enteignung von Grund und Boden, über den Bebauungsverbot von Äckern. Der Leser kann sich mit den Sorgen und dem Leid derjenigen identifizieren, die vor dem Zweiten Weltkrieg die Grenze frei passieren konnten. Landwirten, die ihre Felder bestellen wollten, Verwandten, die sich gegenseitig besuchen wollten, wurde diese Möglichkeit weitgehend verwehrt. Sallai geht im nötigen Maße auch auf die internationalen Entwicklungen ein. Die jeweils aktuellen Probleme in anderen Ländern werden in ihrer Wirkung auf die Staatsgrenzen Ungarns beleuchtet, so z. B. der Zusammenbruch der rumänischen Wirtschaft oder die Krise in der DDR.

Die genaue Schilderung einiger wichtiger historischer Ereignisse bildet einen besonders positiven Zug im vorliegenden Buch, so z. B. die Bearbeitung des Volksaufstandes 1956 aus dem Blickwinkel des Grenzschutzes, wobei sowohl die fachlichen, als auch die menschlichen Auswirkungen genau unter die Lupe genommen werden. Der Bericht des Kommandanten der Grenzwache Hegyeshalom aus der Zeit hat hier einen Seltenheitswert – der Verfasser entdeckte diesen im Zuge seiner Forschungen im Landesarchiv Ungarns. Ebenso bemerkenswert ist die ausführliche Darstellung der Ereignisse um das Paneuropäische Picknick, die Beleuchtung der Hintergründe und des politischen Umfelds, und es ist ganz besonders spannend, dass zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen, vor allem wegen der Rolle der Grenzschutzorgane.

Im Fokus des Buchs steht die technische Grenzsperre an der österreichisch-ungarischen Staatsgrenze. Eigentlich wurden mehrere Sperranlagen nacheinander errichtet, von denen aber die Öffentlichkeit meistens wenig wusste, und die sog. SZ-100, also die Elektrische Signalanlage war die letzte unter diesen Einrichtungen. Dem Leser werden alle eingesetzten Systeme im Laufe der fünfzig Jahre vor Augen geführt, so u. a. die Minenfelder mit den verschiedenen Minentypen. Technische Angaben werden genannt, das gesamte Instrumentarium und die ständig wechselnden Methoden der Grenzüberwachung werden erläutert. Der Buchautor selbst kommt persönlich zu Wort, denn er machte auch Dienst an der Grenze und kann sich in die Lage der Wehrpflichtigen und der Berufssoldaten im Dienst hineinversetzen. Der Leser bekommt aus erster Hand Informationen, er wird Teilhaber von Erinnerungen, die sonst verloren gegangen wären.

Die gesamte Verkettung von Ereignissen im Zusammenhang mit dem Abbau der Grenzsperranlagen wird spannend erzählt. Die Ereignisse werden in die Beschreibung der aktuellen politischen Lage im In- und Ausland eingebettet. Sallai lässt durchblicken, welchem Druck der damalige Grenzschutz ausgesetzt war, wie sich die Organisation bemühte, die Erwartungen von außen zu erfüllen, welche Unsicherheitsfaktoren und Risiken mit der damaligen Arbeit an der Grenze verbunden waren.

Auch einem Laien werden die Geschichte der österreichischen Grenze, die Grenzmarkierung und die Grenzordnung, die technische Sperren, die Untersuchung von Grenzereignissen Kenntnisse vermittelt, um damit ein besseres Verständnis erzielen zu können.

Das Literaturverzeichnis zeugt von den umfangreichen Forschungen des Autors und inspiriert den Fachmann dazu, die Quellen selbst zu studieren und zu bearbeiten. Das Ermitteln und Bereitstellen der Veröffentlichungen im Zusammenhang mit dem Thema ist schon an und für sich eine beachtliche Leistung. Sallais Werk ist leserfreundlich und auch für Laien verständlich, lässt wiederum das Professionelle nicht missen: Das spezielle Fachvokabular der Grenzschutzorgane wiederspiegelt den ursprünglichen Beruf des Autors und macht die Studie authentisch.

Eine Besonderheit kennzeichnet die vorliegende Publikation: Sie ist in drei Sprachen, auf Ungarisch, Englisch und Deutsch in einem Band erschienen. Die gekonnten Übersetzungen ermöglichen auch denjenigen Interessenten, die des Ungarischen nicht mächtig sind, den gleichen Informationsstand, wodurch zum Wert und zur internationalen Reputation des Buchs ein Beitrag geleistet wurde. Gerade die Fachleute und Laien aus dem Ausland, denen sonst etliche Informationen verwehrt geblieben wären, können auf dieser Weise an spezielles Wissen über das Thema in Ungarn herankommen.

Im Anhang finden sich Originalfotos, Skizzen und technische Beschreibungen, welche den Gegenstand der Studie gut veranschaulichen. Auf den eigenen Aufnahmen des Buchautors sieht man Gebäude und andere Erinnerungsstücke an die ehemalige Grenze. Die Gestaltung des Buchs ist ästhetisch und leserfreundlich.

Prof. Sándor Fórizs